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Leukämie "von innen"

Vorwort

Weil wir bei der Suche im Internet über den Krankheitsverlauf der Leukämie eigentlich nur schockierende Berichte fanden, haben Angelika und ich beschlossen, unseren eigenen Erfahrungsbericht ins Netz zu stellen. Sicher, eine schlimme Krankheit, viele sterben, aber es gibt auch Hoffnung.

Das Leben bleibt abrupt stehen. Wenn man kämpft und es schafft, ist nichts mehr wie es war. Das Leben ist zwar anders aber, doch lebenswert.

Aus diesem Grund wollen wir Hoffnung und Mut machen, diesen lohnenswerten Kampf aufzunehmen.

Aus dem Leben gerissen

Um zu verstehen wie sehr uns diese Diagnose aus unserem Leben gerissen hat, will ich zunächst einen kleinen Einblick in unseren vorherigen Lebensablauf geben.

Meine Frau Angelika und ich waren beide selbständig. Sie ist Architektin im Denkmalschutz, ich bin Tragwerksplaner im Denkmalschutz und habe Kläranlagen, Schachtbauwerke und kleine Brücken gebaut. Gemeinsam haben wir ein Ingenieurbüro mit mehreren Angestellten geführt.

Aus diesem Grund war unser Tagesablauf durch strukturiert und oft sehr hektisch. Als Beispiel kann man die Art und Weise aufführen, wie wir in den Segelurlaub fuhren: bis zum Schluss ist immer noch etwas zu tun, man wird nie fertig. Da alle Mitarbeiter mit Arbeit versorgt, alle Baustellen noch koordiniert, sich bei allen Auftragsgebern abgemeldet und jedem noch was einfällt, was vorher dringend erledigt werden muss, war es in der Regel zwischen 19:00 oder 21:00 Uhr, bis wir das Büro verließen. Dann gingen wir nach Hause packen, Blumen und Lebensmittel versorgen und so gegen 22:00 Uhr fuhren wir mit dem Auto 1100 km nach Südfrankreich. Mit 150km/h (immer 20km/h zu schnell) über die Autobahn. Alle zwei Stunden wurde gewechselt, dabei der Motor aber nicht abgestellt. Der Beifahrer schlief. Nach neun Stunden waren wir meist angekommen.

Auf dem Schiff gingen alle Uhren langsamer. Wir genossen es, mit 5 kN (10 km/h) zu reisen und waren stolz, dabei keinen Sprit zu verbrauchen. Wie viel Diesel wir vorher und danach wieder mit dem Auto auf dem Hin- und Rückweg verbrannt haben, wurde in unserer Rechnung nicht berücksichtigt.

Am dem Tag, als ich in die Klinik nach Mannheim musste, war ich noch morgens auf der Baustelle um an einer Baustelleneinweisung teilzunehmen. Um 9:00 Uhr, 36 km entfernt, war der Termin in der Klinik, um 9:30 Uhr wurde ich dort in einen Rollstuhl gesetzt und durfte nicht mehr laufen, geschweige denn irgendwelche Termine wahrnehmen. Eine Vollbremsung von 100 auf 0. Alle Uhren standen still.

Vorgeschichte und Erkennen der Leukämie

Jetzt aber zurück zu der Krankheit. In der Woche nach Weihnachten 2015 bekam ich undefinierbare Schmerzen im gesamten Körper, vor allem in der Brust und dem Rücken.

Da ich vorher fast 30 Jahre überhaupt nicht krank war und deshalb noch nicht einmal einen Hausarzt hatte, wusste ich nicht, was ich jetzt tun sollte.

Da die Schmerzen in erster Linie im Bereich der Brust auftraten, dachte ich an Herz oder Lunge. Aus diesem Grund ging ich zu einem Internisten. Dieser untersuchte alle inneren Organe sowie mein Blut und sagte, ich hätte ein kleine Blutanämie. Das sei aber noch normal und ansonsten sei ich vollkommen gesund. Dann ging ich zu einem Orthopäden. Auch dieser stellte nur meine Gesundheit fest. Dieses traurige Schauspiel ging den gesamten Januar 2016, ein Arztbesuch nach dem nächsten und alle stellten nur meine gute körperliche Verfassung und Gesundheit fest.

Um den ersten Februar 2016 sah ich während des Autofahrens plötzlich Doppelbilder, mein Herz raste wie wild und ich konnte meine Herzschläge in Hals und Kopf fühlen. Ich fuhr an den Straßenrand und wartete ca eine halbe Stunde bis sich alles wieder soweit beruhigt hatte, dass ich wieder Autofahren konnte. Da der Internist meine Daten hatte, fuhr ich direkt dort hin. Am Empfang sagte ich, dass es sich um einen Notfall handle. Trotzdem musste ich, da ich natürlich keinen Termin hatte, musste ich im Wartezimmer eine weitere halbe Stunde warten, bis der Arzt für die Notfall Untersuchung Zeit hatte. Mein Puls hatte sich in der Zwischenzeit beruhigt und er stellte fest „...Sie sind völlig gesund. Im Gegenteil mein Herz sei noch wesentlich kräftiger und gesünder als für Ihr Alter üblich. “ 

Als ich Ihm sagte, dass ich mich sterbenskrank fühle und es doch nicht sein könne, dass alle Ärzte nur meine Gesundheit feststellten, warf er mir vor, ein Simulant zu sein. Am nächsten Tag ging ich dann zu einem Allgemeinmediziner Dr. Emich aus Neustadt, den ich aus der Schulzeit meiner Kinder kannte. Ich schilderte ihm meine Beschwerden und meine Arzt Odyssee.   Er veranlasste sofort ein großes Blutbild.

Am nächsten Morgen rief er mich sehr früh an und sagte mir, ich solle mich sofort im Klinikum in Mahnheim melden, er hätte dort schon angerufen und dort würde man schon auf mich warten. Ich führte den oben erwähnten Baustellentermin durch und saß eine Stunde später im Rollstuhl..

Einlieferung ins Krankenhaus und die Leukämiestation

Ab diesem Moment war es, als hätte jemand alle Uhren angehalten, nichts war mehr wichtig. Ich kam auf die Leukämiestation in das Vorzimmer der Isolierstation. Zu diesem Zweitpunkt wusste ich noch nicht, was die Krankheit bedeutet. Ich hatte zwar schon von Leukämie gehört, verband damit aber nur, dass es sich um eine schlimme Krankheit handelt. Mir wurde Knochenmark entnommen, um eine genaue Diagnose stellen zu können. Diese Genuntersuchung dauerte mehrere Tage. In dieser Zeit schwebt man zwischen Hoffen und Bangen.

Da ich vorher eigentlich nie krank war, dachte ich einerseits, dass die Ärzte das mit Medikamenten schon wieder hinbekommen würden, andererseits - wann liegt man direkt im Vorzimmer einer solchen Station. Man sieht die anderen Patienten nicht, nimmt das hektische Treiben und damit das Leid in den Nachbarzimmern auch durch die geschlossenen Wände und Türen wahr. In dieser Wartezeit machte ich mir noch keine großen Sorgen, wurde aber durch die Umgebung in so eine Art Krankenhausmodus gebracht. Die Hoffnung war, nicht in die geschlossene Abteilung verlegt zu werden.

Diagnose und Heilungsplan

Am 05.02.16 kamen dann die Stationsärztin und der Chefarzt Dr. Klein zu meiner Frau und mir mit den Worten „wir haben eine Diagnose“ in mein Zimmer. Ich hätte Leukämie (AML) und zwar gleich zwei verschiedene Arten: Einmal eine Längenänderung der Chromosomen und zum anderen seien Teile des sechsten Chromosoms abgebrochen und an das neunte Chromosom angewachsen. Aus diesem Grund stand für die Ärzte fest, dass bei mir anschließend das „volle Progamm“ erforderlich sei. Zuerst 12 Chemos damit der Krebs sofort gestoppt würde, dann durfte ich zur Erholung 6 Wochen nach Hause.

In der zweiten Welle kommen dann weitere 6 Chemos, 6 Ganzkörperbestrahlungen je 14 Minuten, dann Stammzellentransplantation und weitere 6 Chemos hinzu.

An diesem gesamten Gespräch habe ich wie eine Art Unbeteiligter teilgenommen, es ging nur um Fakten, die ich zu diesem Zeitpunkt überhaupt nicht einordnen konnte, dass es sich um MEIN Leben handelt, habe ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht realisiert. Am Ende des Gesprächs habe ich den Ärzten sogar die Frage gestellt, wie lange die Behandlung dauert und wann ich wieder auf meine Baustellen kann. Über diese naive Frage waren sie so verwundert, dass dann erst einmal eine Gesprächspause entstand, bis sie mir erklärten: „Wenn alles gut geht können Sie in ca. 2 bis 3 Jahren wieder Arbeiten. Auf Ihre Baustellen: Kläranlagen mit Abwässern und Keimen, alten Dachstühlen und Keller mit Staub und Schimmel dürfen Sie die nächsten Jahre nicht.“

Meine Frau Angelika hatte sich im Vorfeld, bevor ich auf die Station kam, schon übers Internet einiges angelesen und dadurch die Worte der Ärzte besser einschätzen können. Für mich waren es Fakten, die ich nicht einordnen konnte und die mich völlig überforderten. Erst als ich noch am selben Tag in die geschlossene Abteilung verlegt und sofort mit der Chemo begonnen wurde, habe ich die Tragweite erahnt.

Erste Welle der Behandlung - Chemotherapie

In der Isolierung habe ich dann sofort auch im Internet nach der Krankheit gesucht. Es gibt viele Beiträge, aber alle sind sehr ernüchternd. Als Ingenieur versteht man am besten Zahlen, Diagramme und Fakten - keine umfangreichen Wortbeschreibungen. Der Beitrag der UNI-Klinik Köln hat mich dann ernüchtert und schockiert. Da wird Werbung für die Klinik gemacht, dass bei ihr nur 49% aller Patienten nach 5 Jahren gestorben sind, bei allen anderen sind es 50%. Da gibt es Diagramme, wann wie viele Patienten während der Behandlung sterben. Das erste Jahr überleben 30% nicht.

Ich war schockiert. Mit einer 50 prozentigen Wahrscheinlichkeit wäre mein Leben vorbei ! Die Gedanken gingen im Kreis.

War das mein Leben?

Was wollte ich alles „für mich“ machen und habe es für Familie und Beruf nicht getan?

Wie oft habe ich Dinge, die meiner Meinung nach falsch sind, gehört und habe um des Friedenswillen nicht widersprochen?

Gibt es noch eine Zukunft?

Lassen sich die Lebensträume meiner Frau und mir, die wir aus Pflichterfüllung auf später verschoben haben, noch verwirklichen?

Werden wir mit dem Motorrad von Alaska nach Feuerland fahren?

Werden wir unseren Traum einer Segellangfahrt um die Welt noch durchführen können?

Werde ich das Krankenhaus jemals lebend verlassen?

Wie soll meine Beerdigung aussehen?

Ist die finanzielle Zukunft meiner Frau und unserer beiden Jungs gesichert?

 

In dieser nach unten gerichteten Gedankenspirale verblieb ich ungefähr eine Woche, ich war am Boden zerstört. Da ich ein geselliger Mensch bin, der nicht alleine sein kann, belastete mich das in meinem Zimmer isoliert zu sein, sehr stark. Oft dachte ich, dass Einzelhaft im Gefängnis nicht schlimmer sein könne. Dieses „eingesperrt sein“ unterscheidet sich eigentlich nur dadurch vom Gefängnis, dass man hier keine Gitter braucht. Alle Fenster sind zwar zugeschraubt, die Tür ist jedoch nicht abgeschlossen, man weiß: „wenn man raus geht, ist man tot“. Diese notwendige Isolierung hat meine negative Gedankenspirale noch weiter beschleunigt.

Meine Frau Angelika wollte mich unbedingt auf andere Gedanken bringen. Sie brachte mir dann eine Datei mit all unseren Familienfotos der letzten Jahre. Sie sagte, ich soll alle Bilder durchschauen, denn Zeit hatte ich ja, und ich solle eine Datei „schöne Bilder“ erstellen. Diese würden dann gedruckt und mein Zimmer damit verschönert. Fenster und Wände wurden mit denFotos beklebt und wo ich auch hinschaute, sah ich schöne Dinge: meine Frau, unsere Kinder, auf die wir sehr stolz sind, unser Traum - unsere Segelyacht JOANDA , Delfine, die mit uns im Meer spielten, wunderbare Sonnenuntergänge und vieles mehr.

Langsam begann ich, über die schönen Dinge, die ich und wir schon erleben durften, nachzudenken und am Ende der zweiten Woche konnte ich einen Strich unter mein Leben ziehen:  es war ein schönes Leben und damit hatte ich keinen Gram mehr, auch wenn ich gestorben wäre.Doch ich wollte leben!

Da ich ohne vorherige Krankheiten und mit genügend Fettreserven (105 kg) in diese erste Welle mit den 12 Chemos ging und meine restlichen Organe gesund waren, hat mein Körper diese ohne große Nebenwirkungen weggesteckt. Da ich wusste, dass die Chemo den Körper sehr schwächt und der Gewichtsverlust enorm ist, habe ich zum normalen Essen, das mir meine Frau von zuhause mitbrachte, alle zwei Stunden auch nachts entweder eine Banane oder einen Jogurt in mich hinein gezwungen. Ich dachte ich platze. Trotzdem habe ich 10 kg abgenommen und fühlte mich gegen Ende der ersten Welle sehr schwach. Der Weg aus dem Bett zur Toilette (ca. 5 m) dauerte ca. 20 Minuten. Bei meiner Entlassung konnte ich nur noch schwer laufen.

Durch die Behandlung wird das Immunabwerksystem zerstört, so dass man für jede Krankheit anfällig ist. Damit die Ansteckungsgefahr durch Besuch auf ein Minimum begrenzt wird, darf man sich maximal 5 Besucher aussuchen, die diese Station betreten dürfen. Da ich nicht nur über „Krankheit“ sprechen wollte, habe ich mir 4 Freunde ausgesucht und diese gebeten, Besuchsdienst für mich zu übernehmen. Da alle berufstätig waren und die Anfahrt zum Krankenhaus für jeden einfach ca. 40 km also mindestens eine Stunde bedeutete, war dies schon für jeden eine besondere Herausforderung, je einmal alle zwei Wochen zu erscheinen. Dabei haben sie die Absprache, wer wann Zeit hat und nicht gerade krank ist, über What`s App selbst organisiert und somit Angelika erheblich entlastet, so dass sie wenigstens zwei Tage ohne Krankenhaus in der Woche Zeit hatte.

Dafür möchte ich mich herzlich bei allen Vieren bedanken.

Es ist wie in dem Film: „Das Leben der Anderen.“ Man hat kein eigenes Leben mehr und durch die Gespräche mit anderen kann man wenigstens teilweise an deren Leben teilnehmen. Meine Frau Angelika kam fast täglich. Auch für sie war es eine enorme Belastung, da sie vormittags das Büro organisieren musste, noch dazu meine Aufgaben übernahm, um dann nachmittags mich zu besuchen. Auch unsere Jungs mit ihren Partnerinnen haben sich sehr engagiert. Sehr oft haben sie den weiten Weg von Aachen nach Mannheim auf sich genommen. Haben mich besucht und meine Frau in Haus und Garten unterstützt. Diese Unterstützung, Rückhalt und Gespräche haben mir sehr geholfen.

Was mich sehr überraschte, war die Teilnahme und Hilfsangebote von Berufskollegen und Mitarbeitern von Bauämtern und Baufirmen, mit denen wir die letzten Jahrzehnte zusammen gearbeitet haben. Jeder hat versucht, durch Taten oder auch nur Gesten zu helfen. Damit hatte ich nicht gerechnet. Es hat mir gezeigt, dass man nicht alleine im Leben steht, auch wenn man das im Alltag manchmal denkt. All dies hat dazu beigetragen, dass ich wieder gesund werden wollte. Ich wollte leben.

Ich war bereit dafür, in meinem kleinen Gefängnis zu kämpfen, auch wenn jeder Tag damit begann, dass mind. 5 Ampullen Blut entnommen wurden, die Bewertung der Schmerzen auf einer Skala von 1 bis 10 meist bei 4 bis 5 lag und dann die nächste Chemo und weitere Infusionen hinzukamen. Meine Frau und ich sind der Meinung, dass man nur dann etwas erreichen kann, wenn man ein Ziel hat. Nur dann kennt man den Weg und kann ihn auch finden. In der Zeit, als ich mich sehr schwach fühlte, habe ich mir vorgenommen, in den sechs Wochen Erholungszeit, noch vor der zweiten Welle, wieder auf den „Nollenkopf“ - einen Berg hinter unserem Wohnhaus zu laufen mit ca. 400 m Höhenunterschied mit Serpentinen und sehr steil.

Sechs Wochen Erholungsphase

Bevor ich nach Hause kam, wurde dort alles sehr gründlich geputzt und für mich vorbereitet, damit ich meine Vorsichtsmaßnahmen einhalten konnte. Nach der ersten Welle fühlte ich mich schwach, konnte aber einige Minuten laufen und ein bis zwei Stunden in unserem Büro als Statiker arbeiten. Alles ging jedoch viel langsamer und hat mich sehr schnell erschöpft.

Angelika hat jeden Tag mit mit trainiert. Zunächst gingen wir ebene Betonwege bei uns zwischen den Weinbergen, dann bald leichte kurze Wanderwege durch den Pfälzerwald, jeden Tag etwas weiter und steiler. Unser Ziel war der „Nollenkopf“. Aber ohne Angelikas Hilfe hätte ich mich nicht getraut mich so anzustrengen, geschweige denn, alleine in den Pfälzerwald zu gehen.

Als ich soweit war, dass ich wieder ein Stückchen laufen konnte, haben wir beschlossen, eine Auszeit von einer Woche zu nehmen. Zu dieser Zeit lag der Rhythmus der Untersuchungen im der UNI - Klinik bei alle drei Tage. Die Ärzte haben unserem Vorhaben zugestimmt, mich jedoch noch einmal auf die erforderlichen Vorsichtsmaßnahmen hingewiesen.

Bei uns war es Anfang April und noch kalt. Angelika fuhr mich nach Südtirol an die Adria. Dort gingen wir in eine kleine Ferienwohnung, in der wir unsere Vorsichtsmaßnahmen (eigenes Essen, eigenes Bad und WC sowie kein Menschengedränge) einhalten konnten. Wir konnten nach einem halben Jahr zum ersten Mal unser Schiff besuchen. Es sah schrecklich aus. Da wir von der Krankheit so plötzlich aus dem Leben gerissen wurden, waren natürlich keine Wintervorbereitungen getroffen. Alles war voll Ungeziefer, Kiefernadeln und den Hinterlassenschaften der Vögel. Als Nichtsegler stellt man sich am besten vor, man parkt sein Auto für einige Stunden unter einem Baum, Kühlwasser usw. sind natürlich nicht für den Winter vorbereitet und kommt dann erst ein halbes Jahr später im Frühjahr zurück.

Da wir mit uns selbst zu tun hatten, ließen wir alles wie es war und haben unser Training am Strand in der schon warmen Frühjahressonne fortgesetzt. Wir fuhren an den Strand von Bibione. Nur vielleicht 10-20 Menschen am kilometerlangen Strand. Für uns war das ideal. Wenige Arbeiter bauten gerade tausende von Sonnenschirmen und Liegen auf. In der Eisdiele waren wir die ersten und einzigen Gäste.

So vergingen diese Wochen, ich war wieder zu Kräften gekommen. Zwei Tage vor meinem Krankenhaustermin haben wir es gewagt, unseren Berg „den Nollenkopf“ am 20.04.16 zu besteigen. Wir haben zwar statt wir früher (1,5 h) ca. 3,5 h gebraucht, aber wir waren oben.

Wir wussten, dass die zweite Welle ansteht und diese wegen der Bestrahlung und der Transplantation noch härter werden würde. Aus diesem Grund haben wir uns oben auf dem Berg vorgenommen, Ende September - also ein halbes Jahr später wieder da oben zu stehen. Ohne Angelika, die sich in dieser Zeit für mich aufgeopfert hat, hätte ich das nie schaffen können.

In der Zwischenzeit wurden von der UNI - Klink Stammzellenspender für mich gesucht. Dazu kommen üblicherweise und in dieser Reihenfolge: die eigenen Geschwister, dann eine weltweite Datenbank und erst seit einigen Jahren dann die eigenen Kinder in Frage. Dabei ist es, um spätere Abstoßungsreaktionen zu reduzieren, wichtig, eine möglichst große Übereinstimmung der Zelloberflächen zu haben. Bei Geschwistern ist die Trefferquote der Übereinstimmung der Zelloberfläche am höchsten, bei Fremdspendern kann diese bis zu 95 % betragen und bei den eigenen Kindern liegt diese bei ca. 50 %, da die „andere“ Hälfte ja von meiner Frau kommt.

Wenn man soviel Leid wie auf dieser Station sieht, muss man als Arzt und Pfleger, um nicht selbst Schaden zu nehmen, Abstand zu seinen Patienten halten. Vielleicht entwickelt sich daraus auch der eigene Humor: „..Sagen Sie Ihrem Vater, dass Ihre Geschwister zwar Ihre Geschwister sind, jedoch passen beide leider nicht. Es wurden in der Datenbank keine geeigneten Fremdspender gefunden, und da Ihre Kinder tatsächlich Ihre Kinder sind, eignen sich beide. Da der ältere Sohn eine Erbkrankheit aus der Familie Ihrer Frau hat, bleibt Ihr jüngster Sohn. Die Stammzellenspende von den eigenen Kindern wird wegen der geringen Übereinstimmung erst seit wenigen Jahren durchgeführt, ist aber möglich. Diese habloidentische Spende muss nicht schlechter sein. “ Was hat „muss nicht schlechter sein“ zu bedeuten? Ich war hin und hergerissen.

Einerseits ist es ein sehr gutes Gefühl, dass der Spender einem sehr nahe steht, andererseits ist es für Eltern sehr schwierig, die eigenen Kinder um eine lebensrettende Spende, die auch einige Wochen Scherzen nach sich zieht, zu bitten. Meine Frau meinte, dass Sie damit keine Probleme habe, da Sie während der Geburt noch größere Schmerzen hatte. Mir viel der Anruf jedoch sehr schwer. Für meine beiden Söhne war dies überhaupt kein Thema. Beide hätten noch viel mehr getan. Aus diesem Grund möchte ich mich auch bei beiden für mein neues Leben bedanken.

 

Zweite Welle der Behandlung - Konchenmarkstransplantation

Die zweite Welle erschien für mich bzw. meinen Kopf geregelter zu sein. Man glaubt zu wissen, was kommen wird und kennt die Krankenhausabläufe. Was uns jedoch ins Grübeln brachte, war die Tatsache, dass wir aufgefordert wurden ,ein Testament sowie eine Patientenverfügung zu machen. Angelika wurde aufgefordert, ihre Handy-Nummer zu hinterlassen, unter der sie immer erreichbar wäre. Da war klar, dass es jetzt richtig ernst werden würde.

Mehrfach wurde im Krankenhaus darauf hingewiesen, dass es, wenn die Behandlung begonnen hat, es kein Zurück mehr gibt: „dies ist eine Einbahnstraße!“ Es wurde oft nach dem Wohlbefinden des Spenders (unserem Sohn Jonas) gefragt, selbst der Verlauf der Autofahrt von Aachen nach Mannheim ins UNI - Klinikum war den Ärzten eine Nachfrage wert.

Die zweite Welle bestand aus 6 Chemos, um meine eigenen kranken Stammzellen abzutöten. Danach waren 4 Ganzkörperbestrahlungen mit je 14 Minuten angesagt, um auch jede einzelne Stammzelle, die im Knochenmark in jedem einzelnen Kochen von den Zehen bis zu den Fingern verteilt sind, zu töten. Dann erfolgte die Stammzellenspende. Danach kamen weitere 6 Chemos, da der Spender Jonas ja nur halbidentisch ist. Seine andere Hälfte stammt ja von meiner Frau.

Dank meiner recht guten körperlichen Verfassung habe ich, -wie auch bei der ersten Welle-, die Behandlung recht gut weggesteckt und die Stammzellen recht gut vertragen.

Was bleibt ist die Angst.

Trotz des vielen Essens, das ich zusätzlich zur normalen Verpflegung in mich hineingestopft habe, habe ich weitere 12 kg abgenommen. Man wird immer schwächer, die Kräfte werden schneller als bei der ersten Welle aufgebraucht.

Außerdem hatte ich fürchterliche Angst vor dieser langen radioaktiven Bestrahlung. Unser ganzes Leben waren wir gegen Kernkraft, weil wir diese für nicht absolut beherrschbar halten. Ein Fehler würde verehrende Folgen nach sich ziehen. Wir ziehen den Vorteil aus billiger Energie und hinterlassen unseren Kindern den Müll.

  • Und jetzt hängt mein Leben davon ab!

Eines Nachts wachte ich nach einem schlimmen Traum auf. Ich träumte, ich stehe vor dem Abklärbecken im Kernkraftwerk Philippsburg. Die Ärzte sagen, dass ich da durch tauchen muss. Genau zehn Sekunden. Neun Sekunden sind zu wenig, dann wird mich der Krebs töten. Elf Sekunden sind zu viel, dann wird mich die Strahlung töten. Diesen Traum hatte ich mehrfach und bin jedes mal völlig durchnässt aufgewacht. Aber es hilft nichts, man muss da durch.

Nach der Bestrahlung war ich sehr schwach, aber erleichtert, dass auch die geschafft war.

Die Augen- und Zungenfarbe änderten sich, sie werden blass und wässerig. Das sind Zeichen, dass die eigenen Blutzellen tot sind. Sofort im Anschluss erfolgte die Stammzellenspende.

Es waren nur etwa 150 ml Blutinfusion. Eine Konzentration aus den 1,5 Litern die Jonas entnommen wurden. Wie ich im Nachhinein erfahren habe, war dies die maximal zulässige Menge an Knochenmark die bei Ihm entnommen werden durfte. Um diese Menge überhaupt entnehmen zu können, wurde seine Hüfte sehr oft angebohrt. Dies verursachte ca. 3 Wochen Schmerzen in der Hüfte. Dann war es für ihn geschafft und er hatte keine weiteren Schwierigkeiten.

Angelika blieb bei der Stammzelleninfusion bei mir. Ich wurde jedoch dabei so müde, dass ich eingeschlafen bin.

Die folgenden Chemos gingen ebenfalls schnell vorbei.

Jetzt hieß es warten, bis die neuen Stammzellen „anwachsen“. Dies kann zwischen 12 und 20 Tagen dauern. In dieser Zeit kann man nur mit Infusionen und Medikamenten am Leben gehalten werden.

Man ist sehr schwach und fühlt sich dem Tod sehr nah. Die Angst ist immer dabei und wird größer. Mir fielen wieder die Statistiken aus Köln ein: 10 % sterben bei dieser Behandlung.

Eines Nachts hörte ich große Hektik auf der Station. Morgens war die Putztruppe da. Da dies alles auf der Isolierstation geschieht, kennt und sieht man die Patienten der Nachbarräume nicht. Man hört jedoch über Wochen Geräusche, die jetzt ausbleiben.

Ich war wieder am Boden zerstört.

Doch dann kam völlig unangekündigt einer meiner Freunde, die mich auch bei dieser Behandlung begleiteten. Er hat meine Depression sofort bemerkt. Ich habe ihm erzählt was geschehen war. Er meinte, so traurig es wäre: Leben und Sterben sind auf dieser Station normal . Darauf hin nahm er die Gitarre und spielte für mich. Diese Musik war für die Station wohl ungewöhnlich, denn irgendwann kam die Stationsärztin herein und sagte, dass sie eigene Musik auf dieser Station noch nie erlebt hätte, sie das aber gut finde. Auch in dem vorher genannten Beispiel sieht man, wie wichtig die Unterstützung durch Angehörige und Freunde ist.

Das Warten erscheint einem ewig.

Nach 12 Tagen traut man sich das erste Mal nachzufragen und ist natürlich von der Antwort enttäuscht. Man ist froh, dass es keine Abstoßungsreaktionen gibt, weiß aber natürlich auch, dass es ohne „Anwachsen“ der Stammzellen kein Überleben gibt. Wieder fangen die Gedanken an zu arbeiten. Von nur 150 ml hängt mein Leben ab?

Nach 15 Tagen hat der Stationspfleger dann endlich eine leichte Verfärbung meiner Augen bemerkt. Erst 3 Tage später am 18. Tag wurde auch vom Labor bestätigt, dass die neuen Stammzellen die Produktion aufgenommen hatten.

Ab jetzt schaut man sich die Blutwerte jeden Tag aufs Neue an und hofft, dass die Werte jeden Tag besser würden. Mit vielen Medikamenten soll Abstoßungsreaktionen vorgebeugt werden. Teilweise musste ich 38 Tabletten jeden Tag schlucken!

Dabei sind die Antiimmuntabletten besonders wichtig, aber diese waren es auch, die ich als besonders abstoßend empfand. Mir wurde schon vom Geruch übel. So musste ich mich regelrecht zwingen, meine Tagesdosis zu schlucken. Diese Tabletten sollen die Abstoßreaktionen meines Körpers auf die neuen Stammzellen verhindern.

Wenn diese Tabletten nicht bei mir blieben, musste ich abschätzen, wie viele davon noch drinnen waren und den Rest noch einmal schlucken.

Dann endlich war es soweit: ich wurde Anfang Juni entlassen. Wieder hat Angelika zu Hause für mich alles vorbereitet.

Auf der Fahrt nach Hause waren wir beide sehr glücklich, dass wir beide dabei geweint haben

Wieder zu Hause

In den ersten hundert Tagen nach der Transplantation kann es zu akuten Abstoßungsreaktion kommen. Aus diesem Grund sind die Überwachungsintervalle sehr kurz. Alle zwei Tage zur Kontrolle in die Klinik. Für das Leben zu Hause gelten strenge Regeln und der Körper ist noch viel schwächer als in der ersten Erholungsphase. So konnte ich z.B. keinen Schraubverschluss einer Mineralwasserflasche öffnen. Ich war nicht in der Lage, eine Flasche aus dem Keller zu holen.

Jetzt hing wirklich alles an Angelika. Sie war es auch, die mich an unser Ziel Ende September - den „Nollenkopf“ - erinnerte und wieder mit unserem Training begann. Da das Immunsystem durch die Behandlung zerstört ist und dies auch danach noch ca. ein Jahr bleibt, muss man Abstand zu Menschenansammlungen, Kindern und kranken Menschen einhalten.

Jede ansteckende Krankheit bringt einen direkt wieder ins Krankenhaus und da wollte ich nicht wieder hin!

Also galten folgende Regeln und Vorsichtsmaßnahmen, die ich strikt einhielt:

- keine fremden geschlossenen Räume.

- keine öffentlichen oder fremden Verkehrsmittel.

- meine Frau hat alle unsere Fahrzeuge von einem Autoaufbereiter

reinigen lassen und neue Luftfilter in die Klimaanlage einbauen lassen.

- alle Blumen in unserem Haus wurden entfernt.

- das gesamte Gebäude wurde, bevor ich nach Hause kam, mehrere Tage geputzt.

- die Bettwäsche und Matratzen wurden erneuert.

- jeder, der uns besuchte musste gesund sein, sich am Eingang im Gäste - WC die Hände

  waschen und die Schuhe ausziehen.

- kein körperlicher Kontrakt zu Gästen und fremden Menschen, die Begrüßung erfolgt

  ohne Handschlag!

- unser Bad und WC unser Bad war nur für Angelika und mich reserviert.

- das Essen musste keimarm, also gekocht oder geschält sein.

-Alles, was ich gerne aß, wie Schinken, Salami, Camembert oder Rohmilchkäse war

 verboten. Auch frische Dinge wie Salat, Beeren und Obst wurden aus der Speisekarte gestrichen.

In den ersten Monaten nach der Transplantation fror ich immer. Bei 30° C saß ich mit Mütze und Pullover in unserem Wintergarten und hatte kalt. Abends wurde im Wohnzimmer im Juni und Juli der Kaminofen angeheizt immer mindestens 30° C.  Angelika hielt das nicht aus und verkrümelte sich nach draußen auf die Terrasse.

Ich war wieder in einem „Gefängnis“, ohne großen Kontakt zu anderen Menschen, jetzt jedoch in unserem eigenen Haus und damit mit etwas mehr Platz als die 3,5 * 5,5 m im Krankenhaus.

Ich hatte solche Angst vor Husten, Schnupfen usw., dass ich peinlich genau auf die Einhaltung dieser Regeln bestand. Später, als ich wieder laufen konnte, gingen wir manchmal abends, wenn alle Geschäfte schon geschlossen hatten, in die Stadt. Wenn uns wider Erwarten jemand entgegen kam, wechselte ich die Straßenseite. Diese Vorsicht, auf keinen Fall krank zu werden, ging mir in Fleisch und Blut über. Meine Frau meinte irgendwann, dass dies langsam wie eine Paranoia sei.

Aber wir haben es geschafft, ich wurde nie krank.

Nach meiner Entlassung war ich so schwach, dass ich manchmal den Weg zur Toilette im Obergeschoss mit 17 Stufen nicht schaffte. Ein sehr beschämendes Gefühl, wenn man die letzten zwei Meter nicht geschafft hat. Wir hatten jedoch unser Ziel den „Nollenkopf“, wie sollten wir das schaffen? Angelika und ich trainierten dafür wie ein Marathonläufer. Sie war meine Trainerin, meine Förderin und Antreiberin wenn ich aufgeben wollte, weil ich nicht mehr konnte und mir jeder einzelne Knochen und alle Gelenke schmerzten.

Jeden Tag fuhr sie mich mit dem Auto auf ebene Wanderwege, einige Meter von einer Bank entfernt und diese Bank war dann mein Tagesziel. Dabei hat sie mich untergehakt und so mein Selbstvertrauen gestärkt. Die Abstände zur Bank wurden immer größer. Dann kam die nächste Bank oder es ging sogar manchmal ohne Pause weiter.

Beim Laufen hatte ich große Schmerzen und Atemnot. Wenn es genug ist, bemerke ich, auch ein Jahr später, immer noch an Schmerzen an der Wirbelsäule zwischen den Schulterblättern. Trotzdem kam Aufgeben nicht in Frage.

Wenn wir nach Hause kamen, legte ich mich sofort mit ausgebreiteten Armen auf den Rücken, meist auf unseren harten Holzboden. Nach ca. zwei Stunden ging es mir dann wieder besser und ich konnte wieder aufstehen und weiter machen.

Vor meiner Krankheit hatte Angelika noch nie einen Eimer über 10 kg getragen. Das war immer mein Job. Dafür hatte sie sehr viel organisiert und andere Tätigkeiten ausgeführt. Irgendwie haben sich in den 39 Jahren, die wir zusammen sind, Regeln entwickelt, wer für was zuständig ist. Jetzt saß ich in unserem Wintergarten und schaute ihr zu, wie sie mit ihren 50 kg den Rasenmäher mit all ihrer Kraft bewegte, oder bewegte er sie?

Ich konnte nichts tun. Soll doch alles wachsen, wie es will! Aber sie hat eine unvorstellbare Energie und Willenskraft, so dass wir auch diese Zeit überwinden.

Klinisch gesehen verlief alles nach Plan. Die Blutwerte stabilisierten sich und es gab keine Abstoßungsreaktion. Durch unser Training gewann ich auch zusehends an Kraft. Die Untersuchungsintervalle wurden größer, nur noch zwei mal je Woche.

Ich entwickelte mich zur Chimäre. Das ist das Wesen aus der griechischen Sage, das sich aus verschiedenen Körpern zusammensetzt. Weil Jonas - unser Sohn und mein Spender - eine andere Blutgruppe hat, gab es eine Zeit, in der ich meine alte Blutgruppe A und die von Jonas AB hatte. Schließlich setzte sich seine durch, so dass ich heute Blutgruppe AB habe. Auch sonst bemerke ich Veränderungen in meiner Wahrnehmung und Gefühlen.

Ich merke, dass einiges „anders“ ist, nicht schlechter aber anders als früher. Man kann es nicht beschreiben, bemerkt es aber deutlich. Meine Frau sagt heute, dass ich einige Verhaltensmuster von Jonas übernommen habe. Meine Empfindsamkeit und Reaktionen hätten sich verändert. Andere sagen, ich sähe jünger aus als vor der Krankheit.

Davon bemerke ich jedoch nur wenig. Ich fühle mich, als wäre ich in 6 Monaten um 20 Jahre gealtert. Ich werde sehr schnell müde, spätestens alle zwei Stunden muss ich mich für zwei Stunden hinlegen. Mir scherzt jeder Knochen und jedes Gelenk. In Händen und Füßen habe ich ein taubes Gefühl und bin sehr temperaturempfindlich.

Ich vergesse sehr viel. Dinge, die ich in meinem Beruf 35 Jahre lang täglich durchführen musste, sind heute ein „schwarzes Loch“. Durch meine Vergesslichkeit mache ich, wenn ich zu arbeiten versuche, große Fehler. Dies kann für andere sehr gefährlich sein. Im Unterschied zur ersten Behandlung ist an konzentriertes Denken oder Rechnen nicht zu denken. Ich habe nicht nur „schwarze Löcher“ und muss jede Kleinigkeit wie ein Anfänger nachschauen, sondern vergesse wichtige Parameter oder Lasten von ganzen Geschossen. Für einen Tragwerksplaner ist dies eine Katastrophe. Eine Statik aufzustellen und rechtsverbindlich zu unterschreiben wäre verantwortungslos.

Im Gespräch mit anderen springen meine Gedanken, für die anderen völlig unvermittelt, zu einem andern Thema.

Die ersten hundert Tage gingen ohne Schwierigkeiten vorbei. Angelika und ich schafften unser Ziel und bestiegen Ende September den „Nollenkopf“

Die Vorsichtsmaßnahmen hielten wir noch bis Dezember 2016 durch.

An Weihnachten aß ich zum ersten mal wieder Salat und im Januar haben wir uns zum ersten mal getraut, zum Griechen zu gehen. Die strengen Regeln wurden langsam gelockert. Auch zu Geburtstagen von Verwandten, die bis dahin allesamt ausfielen, haben wir uns langsam wieder getraut. Das Leben hat sich langsam wieder normalisiert.

Jetzt hatten wir auch wieder die Kraft und Zeit, uns um unser Schiff zu kümmern, das jetzt 17 Monate lang auf dem Trockenliegeplatz in der Marina Aprilia Maritima (Nordadria) auf uns wartete. Wir putzten und putzten. Wir desinfizierten und haben versucht, dass unsere JOANDA wieder wie ein Schiff aussieht. Sicher hat sie unter der langen Zeit der „Verwahrlosung“ gelitten, aber ich habe Angelika entgegnet, dass wir nach diesem Jahr auch nicht mehr dieselben sind.

So ging es jeden Tag besser. Solange ich auf die Regeln achte, die Signale meines Körpers beachte und bei den geringsten Anzeichen meine Ruhepausen einlege, fühle ich mich gut und kann dann in der restlichen Zeit etwas unternehmen.

Im März 2017, elf Monate nach der Transplantation, hatte ich Bauchschmerzen. Diese Schmerzen hatte ich in den letzten 5 Jahren öfters, aber jedes Mal waren diese, bis ich beim Arzt war, verschwunden und er konnte nichts feststellen. Doch dieses mal gingen die Schmerzen nicht weg. Wir fuhren in die Klinik nach Mannheim.

Dort stellte man fest, dass der Blinddarm geplatzt war! Ich wurde sofort operiert. Auch diesmal verlief alles sehr gut und ich konnte schon nach drei Tagen entlassen werden.

Als ich sofort im Anschluss wieder auf die KMT Station des Klinikums kam, waren alle über den guten Verlauf offensichtlich sehr erleichtert, offenbar hatten sie nicht damit gerechnet. Wenn ich bedenke, dass ich diese Bauchschmerzen auch direkt nach der Transplantation hatte, bin ich davon überzeugt, dass ich den geplatzten Blinddarm, zu diesem Zeitpunkt, nicht überlebt hätte.

Der Arzt meinte: „Wer auf dieser Station einen geplatzten Blinddarm mit so vielen Bakterien und Keimen im Körper so gut wegsteckt, der übersteht auch noch den Rest“. Damit war für mich klar, dass für mich ab jetzt meine Isolation und Vorsicht beendet war.

Ich verließ mein „Glashaus“.

 

Mir war immer kalt. Bei 30° in unserem Wintergarten, meinem "Glashaus".

Ein Jahr nach der Transplantation

Im Nachhinein kann ich feststellen, dass sich für mich die Behandlung und Ihre Auswirkungen in drei Teile unterteilen: der Körper, der Kopf und die Seele.

Erst ein Jahr nach der Transplantation zeigen sich bei mir erste Abwehrreaktionen. Die neuen Stammzellen sind jetzt so stark, dass sie meine „alten“ Schleimhäute angreifen. Die Gelenkschmerzen in Händen und Füßen werden größer. In den Halswirbeln habe ich große Schmerzen, die teilweise so heftig sind, dass diese zu Kopfschmerzen führen. Aus diesem Grund bewege ich mich wie mit einem „steifen Hals“. An der Haut sind merkwürdige Pickel, die sich entzünden, sich verkrusten und dann abfallen, es bleiben dann weiße Flecken zurück. Obwohl ich nicht erkältet bin, habe ich sehr oft Hustenreiz, der manchmal zu Hustenanfällen ausartet.

Die Ärzte sind sich noch nicht sicher, ob es sich um eine chronische GvhD (Abwehrreaktion) handelt. Diese bereitet zwar Schmerzen, ist jedoch auch ein Zeichen dafür, dass die Stammzellen auch die eventuell noch vorhandenen Krebszellen bekämpfen.

Alles in allem denke und hoffe ich, dass die Leukämie soweit überwunden ist. Jetzt muss ich mit den Nachwirkungen der Behandlung fertig werden. Wenn ich ausgeruht bin, sehe ich zwar jetzt jung und gesund aus, fühle mich aber, als ob ich in diesem einen Jahr um 20 Jahre älter geworden wäre. Dies hat einmal dazu geführt, dass der Arzt sagte: „Mal ehrlich, Sie sehen doch nicht krank aus“.

Da durch die Behandlung die Wahrscheinlichkeit, Magen-, Darm-, Nieren-, Leber- oder Hautkrebs zu bekommen, ca. 20-Mal höher ist als bei anderen Menschen und um einen Rückfall zur Leukämie schnell zu erkennen, werde ich weiterhin eng überwacht, um ggf. schnell reagieren zu können.

Für die Klinik ist anscheinend das Hauptproblem Leukämie auch erledigt, die jetzigen Beschwerden sind für sie nur Kleinigkeiten auf Nebenschauplätzen. Meine Vergesslichkeit, die Gelenkschmerzen, die ständige Müdigkeit und dass ich bei schneller körperlicher Anstrengung schnell außer Atem kommen wird als normal eingestuft. Diese setzen mir jedoch sehr zu. Nichts ist wie es war.

 

Der Kopf

Der Kopf ist wie oben schon beschrieben stark gealtert. Ich bin sehr vergesslich, alles um mich herum geht so schnell, dass ich, um alles begreifen zu können, immer voll konzentriert sein muss. Da dies nicht immer geht, verliere ich oft den Faden. Oft vergesse ich mitten im Satz, was ich eigentlich sagen wollte. Namen und Orte sind wie Schall und Rauch.

Als ich diese Zeilen schrieb, hatte ich die zeitliche Abfolge völlig durcheinander geworfen. Ich war felsenfest davon überzeugt, dass meine falsche Version die Richtige sei und der Wahrheit entspräche. Angelika konnte mich erst mit den richtigen Daten überzeugen, alles richtig zu stellen. Eigentlich ist dies auch klar. Ich habe ein Jahr lang meinen Kopf „ausgeschaltet“. Das Einzige was ich dachte und wollte, war gesund zu werden und nur darauf und auf meinen Körper habe ich geachtet. Der Rest der Welt interessierte mich nur am Rande.

In diesem Punkt ist man sehr alleine. Ich versuche zum Training mit Kopfrechnen und englischen Vokabeln meinen Kopf wieder „beweglicher“ zu machen. Auch der Besuch bei zwei Psychologen, um nachzufragen wie ich meinen Kopf wieder fit machen kann, hat nichts gebracht. Beide führten nur diesen Parkinson – Test mit mir durch, den ich natürlich gut bestand. Nichts ist wie es war.

Der Geist

Eigentlich bin ich kein religiöser Mensch. Aber wir hatten drei Kinder. Leider ist unsere Tochter 1989 während der Geburt gestorben. Immer, wenn ich denke, ich brauche Hilfe „von oben“, denke ich an sie und oft wird dann meine Angst weniger. Ich werde ruhiger und kann dann auch viel mehr ertragen.

Es gab in dieser Zeit sehr viele Situationen, in denen Hilfe dringend notwendig war.

Man ist oft dem Tod sehr nahe und obwohl ich versucht habe, nicht über den Tod nachzudenken, sondern nur an das Leben und wieder gesund zu werden, holen mich diese Gedanken jetzt ein Jahr nach der Transplantation ein. Anderen Menschen, die nicht ähnliches durchlebt haben, ist es nur schwer zu erklären, wie man sich und seine Lebenseinstellung verändert.

Es ist sehr verblüffend, dass Gespräche mit andern Menschen, die auch am Rande des Todes waren, gleich fundamentale Fragen betreffen und oft die gleichen Reaktionen auslösen, obwohl vorher völlig unterschiedliche Lebenseinstellungen vorhanden waren und ein Gespräch nie aufgekommen wäre. Man überdenkt bei solch einer schweren Krankheit sein Leben. Dazu gehören auch Verpflichtungen gegenüber Kindern, Eltern und anderen. Sicher ist es sehr wichtig, für andere da zu sein und zu helfen, wo man kann. Aber ebenso wichtig ist es, dass man sich dabei nicht selbst aufgibt.

Für Mediziner ist dies kein Thema. Man fühlt sich alleine und weiß nicht, wer helfen könnte.

Bei der Bestrahlung wurden die Nerven stark geschädigt, so dass ich an Händen und Füßen kein Gefühl mehr habe und alle 6 Monate zum Nervenarzt muss. Inzwischen weiß ich, dass diese Nerven in ca 1 bis 2 Jahren wieder nachwachsen. Aus diesem Grund war mir die Messung, wie weit fortgeschritten das ist, gleichgültig.

Außen auf seinem Schild steht Nervenarzt und Psychologe. Also suchte ich vergeblich das Gespräch. Er wollte messen. Auf die Frage, wohin ich mich wenden könne, bekam ich keine Antwort.

Bei der UNI - Klinik Mannheim gibt es einen Gesprächskreis für Leukämiepatienten unter der Leitung eines Mannes, der Pfarrer und Arzt ist. Diese Gespräche haben mir geholfen. Leider ist die Teilnahme der Patienten, die dieses Angebot wahrnehmen, gering. Ich hoffe sehr, dass dies in kommenden Jahren besser angenommen wird. Ich denke, dass es sehr vielen Patienten ähnlich geht und dass nur solche Gesprächskreise einem weiter bringen. Man merkt, dass man nicht alleine mit seinen Problem ist.

Die Zukunft

Angelika und ich haben beschlossen, jetzt mit der Verwirklichung unseres Traums, einer Segellangfahrt zu beginnen:

„Wenn nicht jetzt, wann dann?“

Wir passen unsere Segeletappen meinen Krankenhaus- und Arztbesuchen an. Zur Zeit sieht dieser Rhythmus so aus, ca. 2-3 Wochen Krankenhaus und Arztbesuche und zu Hause, dann 4-5 Wochen Segeln. So können wir uns auch durchs Mittelmeer in Richtung Gibraltar bewegen.

Für Nichtsegler muss man erklären, dass Segeln bei uns sehr beschaulich abläuft. Manchmal kommt es natürlich vor, dass mal 10 Minuten Stress angesagt sind, aber normalerweise kündigen sich fast alle Ereignisse lange vorher an, man muss dann rechtzeitig reagieren. Kommen diese Reaktionen oder vorbeugende Maßnahmen zu spät, kann man schon eine Weile vorher sehen, dass es jetzt kracht, man kann nichts mehr tun, nur zuschauen und auf den Crash warten. Außerdem haben Angelika und ich alle zwei Stunden Wachwechsel, sodass ich sehr viele Ruhepausen habe.

Aber auch beim Segeln ist meine Vergesslichkeit gefährlich. So habe ich vor neulich bei viel Wind im Hafen einfach vergessen, dass wir ein Bugstrahlruder haben und deswegen beinahe ein anderes Schiff gerammt. Ich habe einfach nur entsetzt geschaut und vergessen, es zu bedienen. Seitdem behält Angelika mich besser im Auge.

Vor der Leukämie bin ich viel Auto gefahren. Heute denke ich manchmal „ich fahre wie meine Mutter mit ihren 82 Jahren“. Alles geht viel zu schnell.

Was die Zukunft betrifft, sind wir optimistisch: Die Nachwehen der Behandlung sind noch lange nicht vorbei und ein Rückfall oder eine durch die Behandlung bedingte andere Krebskrankheit hängt wie ein Damoklesschwert über uns.

Aber unser Leben findet jetzt und nicht in ferner Zukunft statt!

 

Das zweite Jahr

Jetzt ist auch das zweite Jahr nach der Transplantation vorüber.

Angelika und ich sitzen auf unserem Boot der JOANDA und sind auf dem Weg nach Gibraltar immer weiter Richtung Westen.

Zur Zeit ist gerade Windstille und ich überdenke das letzte Jahr.

Demnächst müssen wir wieder nach Deutschland fliegen, denn dort erwarten mich die Zwei-Jahresuntersuchungen. Das sind ca. 10 Arztbesuche sowie die Knochenmarkpunktion zur Kontrolle, ob wirklich alles in Ordnung ist. Ich fühle mich sehr gut und habe aus diesem Grund keine Panik davor.

Eigentlich ist klinisch wieder alles optimal verlaufen. Ich wurde immer kräftiger und habe ca.10 kg zugenommen, das gefällt Angelika und Dr. Klein aus verschiedenen Gründen überhaupt nicht. Sie macht sich Gedanken über meine Figur, er warnt mich wegen des erhöhen Risikos vor Bluthochdruck, Herzinfarkt oder ähnlichem…

Aber inzwischen nehme ich mir wieder die Freiheit, nicht immer auf die Ärzte zu hören und versuche so zu leben, wie ich will. Wenn mir das Essen und der Wein schmeckt, dann esse und trinke ich wie es mir gefällt. Mein Körper hat bisher dagegen keine Einwände.

Zum Verlauf dieses Jahres kann man sagen, dass es natürlich durch viele Arztbesuche und Untersuchungen geprägt war. Nur einmal stimmten die PSA-Werte nicht und es wurde der Verdacht auf Prostatakrebs geäußert. Dies erwies sich jedoch zum Glück als unbegründet.

Da ich das Gefühl habe, die Leukämie sei vorbei und ich kämpfe nur noch gegen die Nachwirkungen der Behandlung – z.B. das 20-fache Krebsrisiko setzen mir solche Vermutungen jedoch schwer zu.

Zu weiteren Nachwirkungen gehören auch die ständigen Schmerzen in allen Knochen und Gelenken. Manchmal dauert es einige Zeit, bis ich vom Sitzen wieder senkrecht bin.

Es besteht die Möglichkeit, dauerhaft gegen die Schmerzen Medikamente einzunehmen, ich entschied mich jedoch, weil diese die inneren Organe angreifen, dagegen. Aus diesem Grund führen wir starke Schmerztabletten nur für den Notfall mit an Bord. Mit Ausnahme einer geringen Dosis Blutdruck senkender Tabletten nehme ich keinerlei Medikamente mehr. Ich bin der Meinung, dass ich durch die zwingend notwendige Behandlung für den Rest meines Lebens genügend Medikamente eingenommen habe.

Außerdem bin ich immer müde. Wenn ich jedoch meinen Mittags- 13-14 Uhr und Abendschlaf von 18-19 Uhr einhalte, geht es mir recht gut. Manchmal ist das jedoch nicht möglich, dann bricht meine Leistungsfähigkeit am nächsten Tag zusammen.

Und da sind wir auch bei dem ersten Problem:

Keiner sieht mir die Krankheit an, jeder erwartet, dass ich wieder dieselbe Leistung erbringe wie vor der Leukämie und der Behandlung. Was soll ich Dr. Klein antworten, wenn ich aus dem Wartezimmer mit den neu Erkrankten oder frisch entlassenen Patienten komme und deren Leid gesehen habe und er mich fragt wie es mir geht? MIR GEHT ES GUT.

 

Selbst bei meinen Eltern und den Kindern kommt es oft vor, dass sie nicht mehr an meine verminderte Leistungsfähigkeit denken und zu hohe Erwartungen haben, die ich nicht erfüllen kann.

Die Einzige, die das alles erkennt und mich zur Einhaltung meiner Pausen drängt, ist Angelika. Sie sieht an meinem Gesichtsausdruck und meiner Körperhaltung, wo ich gerade stehe.

Aus diesem Grund muss ich mich von jeglichem Erwartungsdruck befreien. Wenn ich das aus welchen Gründen auch immer nicht kann, werde ich es am nächsten Tag bereuen. Diese Tage muss ich im Bett verbringen.

Ein Arzt erklärte mir, dass bei der Behandlung durch Chemotherapie und Bestrahlung die Nervenenden zerstört werden, diese jedoch wieder mit 0.1mm pro Tag nachwachsen würden.

In den Gliedmaßen konnte ich das spüren, von den Ellbogen bis in die Finger und von den Knien abwärts hatte ich ein Taubheitsgefühl und war übermäßig Temperatur empfindlich. Diese ca. 30-50 cm in Armen und Beinen sind inzwischen nachgewachsen und das Gefühl ist wieder fast wie früher.

Im Gehirn kann das Gleiche passieren, jedoch sind die Wege durch die Gehirnwindungen viel größer. Darum dauert das Nachwachsen entsprechend länger und man bemerkt es nicht körperlich, sondern beim Denken und Vergessen.

Mit Zeitdruck und Schwierigkeiten kann nicht mehr adäquat umgehen. Ich sehe immer den Berg vor mir und denke „das schaffe ich nicht“.

Jeden Morgen stehe ich auf und nehme mir etwas vor und fast jeden Abend stelle ich fest, dass ich es nicht geschafft habe. Wenn dann noch etwas Unvorhergesehenes hinzukommt, werde ich aggressiv und versuche mich gegen die neuen Erwartungen und Aufgaben zu wehren. Diese Reaktion geht manchmal über das Ziel hinaus und ist für die andere Person oft nicht nachvollziehbar.

Bei Diskussionen mit Anderen muss mein Gegenüber nur kurz das Thema wechseln, dann weiß ich nicht mehr, was ich sagen wollte und das Gespräch nimmt einen völlig anderen Verlauf. Dadurch werden Dinge, die für mich wichtig sind erst gar nicht angesprochen oder sofort abgebügelt. Da ich mich der Diskussion nicht stellen kann, ziehe ich mich dann meistens frustriert zurück und bin auch körperlich bettreif.

Ein weiterer Punkt ist meine durch die Behandlung entstandene große Vergesslichkeit.

Ich habe versucht in meinem alten Beruf als Tragwerksplaner wieder einige kleine Projekte zu bearbeiten. Dabei mache ich sehr viele Fehler. Mit diesem Problem der Vergesslichkeit steht man ziemlich alleine da. Im vergangen Jahr war ich bei verschiedenen Psychologen und habe Hilfe gesucht, jedoch vergeblich.

Da ich begeistert von Mathematik und Physik bin, hatte ich mir vor der Krankheit regelmäßig, nur weil ich wissen wollte ob ich es noch könnte, die aktuellen Abituraufgaben heruntergeladen und für mich gelöst.

Das ist vorbei. Nichts ist wie es war.

Alle Psychologen führten lediglich Demenztests mit mir durch und weil ich z.B. noch weiß, dass 92-7=85 ist und auf einer Uhr 10 vor 11 zeigen kann, bin ich gesund.

Einer dieser Ärzte machte mal die Aussage, dass meine Fähigkeiten zwar bei weitem nicht mehr denen eines Ingenieurs entsprächen, jedoch wahrscheinlich größer als bei einem aktuellen Präsidenten seien und man deshalb nicht von krank sprechen könne.

Schon in der 10-ten Klasse beschloss ich, Tragwerksplaner zu werden.

Ich wollte Brücken bauen.

Ende des Jahres 2017 erhielt ich das Angebot, eine kleine Brücke zu berechnen und zu bauen. Zunächst war ich völlig begeistert. Zum Abschluss meines Berufslebens wäre das noch einmal ein kleines Highlight gewesen. Die Verträge wurden ausgehandelt und lagen zur Unterschrift bereit.

Während des gesamten Januars kämpfte ich mit mir, ob ich unterschreiben und mir diese Freude gönnen sollte und damit aber auch das Risiko, Fehler zu machen, eingehen müsste.

Es waren schlaflose Nächte.

Ich habe beschlossen, nicht mehr als selbständiger Tragwerksplaner zu arbeiten. Ohne Kontrolle durch einen zweiten Ingenieur erscheint mir das einfach zu gefährlich.

Es fiel mir sehr schwer den Auftrag abzulehnen. Als ich jedoch dem Bauherrn meine Gründe erläutert hatte und er diese nachvollziehen konnte, fühlte ich mich wie befreit und eine große Last fiel von meinen Schultern.

Jetzt werden Angelika und ich unseren Traum leben, in die Welt zu segeln.

Bei Seglern gibt es eine Weisheit die besagt, dass man nicht mit Sorgen im Kielwasser losfahren soll, denn diese Sorgen werden unterwegs noch größer.

Den Segler Abschiedsgruß „Fair Winds“ finden Angelika und ich besonders nett.

Ich hoffe, dass es jedem, der mit Krankheit zu kämpfen hat, bald wieder so gut geht wie mir.